Umfrage zur Arbeitssituation von Ärztinnen und Ärzten in der Wissenschaft und Forschung an der Universität zu Lübeck

Auswertung

von

Imke Krebs, Sabine Voigt


Lübeck 2004


Im Frühjahr 2003 wurde von der Medizinischen Fakultät der Universität zu Lübeck in Zusammenarbeit mit der Frauenbeauftragten eine Umfrage gestartet, die die Arbeitssituation in Wissenschaft und Forschung von Ärztinnen und Ärzten analysieren sollte. Ziel dieser Befragung war, die Hindernisse während der Promotion und Habilitation von Ärztinnen und Ärzten zu erfassen und daraus ableitend zukünftige Maßnahmen zum Abbau möglicher Hürden zu entwickeln und umzusetzen.

Insgesamt wurden 711 Personen angeschrieben. Nach einer Erinnerung sind 385 Fragebögen zurückgekommen, was einem Rücklauf von 55% entspricht.1 Von den 380 beantworteten Fragebögen (5 missings), wurden 173 (45,5%) von Frauen und 207 (54,5%) von Männern beantwortet.

Die Ärztinnen waren mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren um 3,5 Jahre jünger als ihre männlichen Kollegen (38,5).


Beruf oder Familie ?

Hinsichtlich des Familienstandes zeigt sich, dass Ärzte häufiger verheiratet sind (65%) als Ärztinnen (44%). Hier wirkt sich möglicherweise noch die Tradition aus, dass ein verheirateter Arzt als belastbarer gilt (die Ehefrau als Entlastungsfaktor für die Familie), während einer verheirateten Ärztin stets die Doppelbelastung Beruf und Familie zugeschrieben wird.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse zur Anzahl der Kinder:



Von den 173 befragten Frauen haben 109 keine Kinder. Das entspricht einer Quote von 63%!

Von den Ärztinnen mit Kindern, haben 38% ein Kind und 45% zwei Kinder. Interessant wird es bei der Anzahl von drei Kindern: hier haben Ärzte deutlich häufiger 3 Kinder (20%) als Ärztinnen (8,5%).

Bei der Frage, ob ihnen durch die Kinderbetreuung berufliche Nachteile entstanden sind, haben nahezu 70% aller weiblichen Befragten mit „ja“ geantwortet, während nur 14% der männlichen Befragten diese Frage bestätigten. Eine weitere Frage zu diesem Themenbereich, die sich an alle Ärztinnen und Ärzte (mit und ohne Kinder) richtete, lautete, ob sie glauben, dass ihnen durch Kinder grundsätzlich berufliche Nachteile entstehen. Hier war das Antwortverhalten noch deutlicher: 91,9% der Ärztinnen bejahten die Frage gegenüber 35,1% ihrer männlichen Kollegen.

Dieses Antwortverhalten könnte auch eine Erklärung für die geringen Geburtenquoten bei Akademikerinnen sein, insbesondere bei Wissenschaftlerinnen in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern.

In einer anderen bundesweiten Umfrage, die im Frühjahr 2001 bei den weiblichen Mitgliedern der deutschen Physikalischen Gesellschaft durchgeführt worden ist, kam heraus, dass von den insgesamt 3062 angeschriebenen Physikerinnen, 71% keine Kinder hatten.2 Diese Zahlen belegen sehr eindrucksvoll, zumindest im akademischen Bereich, die derzeitige Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die berufliche und familiäre Doppelbelastung wird auch bei der Frage nach Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigung deutlich. Nur ein Arzt (5,4%) gab an, in Teilzeit beschäftigt zu sein gegenüber 52 der befragten Ärztinnen (30,6%).


Die Promotion – das ungenutzte Potential

Ein weiteres für die Fakultät interessantes Ergebnis ist, dass 65% der Befragten während ihrer Promotion in kein größeres Forschungsprojekt eingebunden waren. Von den Doktoranden, die in Forschungsprojekte eingebunden waren, waren doppelt so viele Männer (84 (43%)) als Frauen (41 (23%)).

An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, ob hier nicht wissenschaftliche Kapazitäten vergeudet werden und ob zukünftig eine effizientere und gezieltere Förderung von Promotionen innerhalb von Forschungsprojekten nicht sowohl wissenschaftlich als auch betriebswirtschaftlich sinnvoller wäre. Darüber hinaus waren 25% mit der Betreuung der Promotion nicht zufrieden. Insbesondere zu lange Korrekturzeiten, die die Doktorarbeiten unnötig verzögerten, wurden hier als freie Antwortmöglichkeit am häufigsten angegeben. Vor dem Hintergrund des neuen Hochschulrahmengesetzes, das für die Fertigstellung einer Doktorarbeit sehr klare Zeitvorgaben angibt, erscheint auch in diesem Punkt ein dringender Handlungsbedarf. Hierbei könnte die neue Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät ein erster Schritt hin zu einer effizienteren Nutzung der wissenschaftlichen Ergebnisse von Promotionen sein.


Die Habilitation – ein Auslaufmodell?

Was sich bei der (Nicht)Einbindung der Promotion in Forschungsvorhaben bereits ankündigt, setzt sich beim Antwortverhalten zur Habilitation fort. Denn hier trennen sich die Wege der Ärztinnen und Ärzte. Lediglich 13,5 % der Ärztinnen wollen sich habilitieren, während sich 42% der Ärzte die Habilitation anstreben. Allerdings zeigen die Antworten sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern Unsicherheiten: 37% der Ärztinnen und 35% der Ärzte haben die Frage, ob sie sich habilitieren wollen, mit „vielleicht“ beantwortet. Mit anderen Worten, hier ruht eine wissenschaftliches Potential, dass es noch zu motivieren gilt.

Setzt man diese Ergebnisse mit den Antworten zur Promotion ins Verhältnis, dann ist zu vermuten, dass die Ärztinnen und Ärzte, die bereits während der Promotion in eine Forschergruppe integriert waren, auch motiviert sind, weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten, um schließlich zu habilitieren. Da Männer als Doktoranden doppelt so häufig in Projekte eingebunden waren als Frauen, verwundert die bisher noch geringe Habilitationsquote von Frauen nicht.

Außerdem ist auffällig, dass lediglich 26,5% aller Befragten angegeben haben, ihre Habilitation habe einen inhaltlichen und/oder methodischen Bezug zu der vorangegangenen Promotion. Deutlicher ausgedrückt, 73,5% der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich mit Beginn ihrer Habilitation in ein völlig inhaltlich und methodisch neues Gebiet eingearbeitet, und sich praktisch erst zu diesem Zeitpunkt für ihren zukünftigen wissenschaftlichen Schwerpunkt entschieden. Hierbei haben geschlechtsspezifische Unterschiede im übrigen kaum eine Bedeutung. Die Promotion in der Medizin spielt offensichtlich für die zukünftige wissenschaftliche Spezialisierung und Laufbahn eine äußerst geringe Rolle. Damit entscheiden sich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der Medizin im internationalen Vergleich sehr spät für ein wissenschaftliches Schwerpunktthema.

Ähnlich wie bei der Promotion stellt sich der Zufriedenheitsfaktor beim Verlauf der Habilitation dar. 28% waren damit unzufrieden und die Gründe liegen hauptsächlich in der mangelnden Zeit, die neben Krankenversorgung und Lehre kaum mehr Raum für Forschung zulässt und in zu geringer Unterstützung. Dabei waren die Wissenschaftlerinnen wesentlich unzufriedener als ihre männlichen Kollegen, denn fast die Hälfte aller Habilitandinnen gaben an, mit dem Verlauf der Habilitation unzufrieden zu sein.

So ist es auch kaum verwunderlich, dass sich 56% der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht während der regulären Arbeitszeit ihrer Habilitation widmen konnten. Das unter diesen Umständen Forschungsarbeiten nur zögerlich vorankommen, erstaunt wenig. Doch dieses Phänomen betrifft nicht nur Lübeck, sondern alle Medizinischen Fakultäten. Eine Entzerrung des Dreiergestirns Forschung, Lehre und Krankenversorgung könnte hier Lösungsansätze bieten, um in der Forschung mittel- und langfristig auch der internationalen Konkurrenz stand zu halten.

Denn die interne Verteilung in Routinearbeit sprich Krankenversorgung auf der einen Seite und Forschung auf der anderen ist nach Meinung von 90% der Befragten ohnehin nicht gleich verteilt. Das heißt, inoffiziell scheint es bereits eine Aufgliederung des wissenschaftlichen Personals für erstens Krankenversorgung und zweitens Forschung zu geben. Und diese Aufgliederung, da sind sich Männer und Frauen einig, ist geschlechtsspezifisch, denn 62% meinten, dass Männer mehr Arbeitszeit für Forschung bei gleicher Qualifikationsstufe investieren als in Krankenversorgung.

In diese Richtung weisen auch die Antworten auf die Frage nach den Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Weiterqualifikation. Hier gibt die überwiegende Mehrheit, nämlich 69%, eine Freistellung von Routineaufgaben an. Auch in der Förderung durch den Vorgesetzten sehen 60% eine wesentliche Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere. Ebenso beurteilen 51% längerfristige Arbeitsverträge als einen Garanten für eine wissenschaftliche Qualifikation, denn Verträge über lediglich ein oder zwei Jahre bieten weder Planungssicherheit noch Kontinuität für ein größeres Forschungsvorhaben.

Auf die frei zu beantwortende Frage, welche Anforderungen die Teilnehmenden an die Universität stellen würden, wenn sie heute noch einmal promovieren bzw. habilitieren würden, ist das Antwortverhalten eindeutig: Insbesondere für Promotionsarbeiten wünschte sich die Mehrheit eine bessere Betreuung (Qualitätsstandards) und klarere Strukturen. Ebenso eine bessere Vermittlung von statistischen Grundlagen war ein häufig genanntes Item. Einige beklagten auch den Umstand, dass die Promotion in der Medizin in der Regel bereits neben dem Studium geschrieben werde, was in den Augen vieler Befragter geradezu eine Abwertung der Promotion sei. Um die Promotion wissenschaftlich aufzuwerten, seien, wie auch in anderen Fächern üblich, Promotionszeiten nach dem Studium einzurichten, während der man sich intensiv der wissenschaftlichen Arbeit widmen könne.

Die Juniorprofessur stößt bei den Befragten auf wenig Akzeptanz. Die Mehrheit (71,2%) lehnte die Juniorprofessur als Alternative zur Habilitation ab. Dabei zeigten sich die Ärztinnen jedoch etwas aufgeschlossener: Immerhin konnten sich knapp 40% der Ärztinnen eine Juniorprofessur als Alternative zur Habilitation vorstellen gegenüber nur 24,7% der Ärzte.


Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen – noch nicht entdeckte Potentiale

Die geringe Habilitationsquote bei den Ärztinnen spiegelt sich auch in den sonstigen Forschungsaktivitäten wieder.

Hierbei spielen beispielsweise die Besuche von Fachkongressen eine besondere Rolle. Zwar besuchen Frauen wie Männer nahezu ähnlich oft Kongresse, jedoch treten Männer wesentlich häufiger als Referenten (71%) auf als Frauen (53%). Und diese Vortragshäufigkeit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Publikationsaktivitäten.

Während 70,7% der befragten Ärzte in den vergangenen 2 Jahren publiziert haben (Originalarbeiten), konnten hier nur 44,2% der Ärztinnen die Frage mit ja beantworten. Auch bei der Antragstellung von Drittmitteln ist die Quote bei den Männer mit 47,3% deutlich höher als bei den Frauen (17,5%).3

Die Gründe hierfür reichen von mangelnder Unterstützung bzw. Freistellung von der Krankenversorgung bis hin zum mangelnden Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten (26%). Gerade das Verfassen von Publikationen oder Anträgen scheint für viele problematisch (17%), da hierfür Zeit und vor allem Ruhe benötigt wird, die im Klinikalltag so nicht vorhanden ist. Ist der private Alltag dann noch von Kinderbetreuung geprägt, ist es insbesondere für Ärztinnen schwer, sich weiterhin in der Forschung zu engagieren. Unflexible Kinderbetreuungszeiten und zu wenig Hort- und Krippenplätze tun ihr übriges. Nichts Neues also!

Doch nun gibt es Bestrebungen seitens der Medizinischen Fakultät, zumindest Ärztinnen, die den Spagat zwischen Lehre, Krankenversorgung und Forschung auf der einen Seite und Familie auf der anderen zu erleichtern. Seit vergangenem Jahr wird über die interne Forschungsförderung der Medizinischen Fakultät ein Programm angeboten, dass sich zunächst speziell an Ärztinnen mit Kindern richtet. Sie haben die Möglichkeit auf Antrag eine 6-12monatige Freistellung von der Krankenversorgung zu bekommen, um ihr Habilitationsvorhaben zu beenden4. Nach Auswertung der Befragung ein lohnenswertes und von vielen Befragten durchaus gefordertes Programm. Zumindest war es eine wiederholt geäußerte Antwort auf die frei zu beantwortende Fragen, welche Anregungen und Wünsche sie denn hätten, um den Frauenanteil in der Wissenschaft und Forschung zu steigern.


Zusammenfassung und Ausblick

Hinsichtlich der Unvereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie hat die Umfrage an der Universität zu Lübeck letztlich die Ergebnisse von ähnlichen Umfragen in Göttingen5 und Berlin6 bestätigt. Noch immer lasten mehrheitlich die familiären Verpflichtungen auf den Schultern der Frauen, was sich insbesondere während der medizinischen Weiterbildung und der wissenschaftlichen Qualifizierungsphase ungünstig auf die Karriereverläufe von Ärztinnen auswirkt. Und die meisten Ärztinnen haben nach der vorliegenden Umfrage ihre Kinder während der Facharztweiterbildung bekommen. Mangelnde Kinderbetreuung und unflexible Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen erschweren nach Angaben der Befragten entscheidend die weitere berufliche Entwicklung von Frauen. Dies wird auch geradezu gebetsmühlenartig von bundesweiten Studien immer wieder bestätigt. Trotz dieser erwiesenen Defizite erscheinen politische Entscheidungen und vor allem deren Umsetzungen in weiter Ferne. Allein immer wieder beschworene Absichtserklärungen seitens des Bundesfamilienministeriums reichen eben nicht, um in dieser Frage eine Trendwende einzuläuten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll und richtig, dass die Universität zu Lübeck zumindest bei der Nachwuchsförderung einen Schwerpunkt auf die Qualifizierung von wissenschaftlich engagierten Ärztinnen mit Kindern gesetzt hat.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Umfrage ist die viel zu geringe Einbindung von Doktoranden insbesondere von Doktorandinnen in Forschungsprojekte. Dabei hätte die stärkere Nutzung von Promotionen für Forschungsschwerpunkte für alle Beteiligten nur Vorteile:

  • Eine intensivere Einbindung von DoktorandInnen hat in der Regel eine bessere Betreuung zur Folge.

  • Die zielgerichtete Einsetzung von Promotionsthemen bedeutet einen zielgerichteten Einsatz von Materialien (z.B. Reagenzien, Rohstoffe etc.) und ist damit kostensparend.

  • Ist eine Promotion teil eines Forschungsprojektes, erhöht dies in der Regel auch die Qualität der Promotionsarbeit.

  • Für wissenschaftlich engagierte DoktorandInnen eröffnet sich früher die Möglichkeit, für sich einen wissenschaftlichen Schwerpunkt zu definieren und diesen kontinuierlich für eine Habilitation auszubauen. Eine frühe wissenschaftliche Profilierung würde sich insbesondere für Frauen günstig auf den Karriereverlauf auswirken.

  • Wissenschaftliche Kontinuität ist schließlich auch eine der Voraussetzungen für wissenschaftliche Spitzenleistungen.

Mit der Etablierung der neuen Promotionsordnung ist sicherlich ein erster, wichtiger Schritt getan worden, sich dieser Problematik anzunehmen.

Für die weitere wissenschaftliche Qualifizierung war für die meisten Befragten die Freistellung von der Krankenversorgung die wichtigste Voraussetzung und zwar sowohl für Ärzte als auch für Ärztinnen. Ein Vorschlag einer Befragten war, ein verbindliches Curriculum für wissenschaftlich engagierte Ärzte und Ärztinnen zu erstellen, in dem Freistellungen von der Krankenversorgung geregelt werden.








Anhang: Allgemeine Fragen

Für wie wichtig halten Sie folgende Aspekte für Ihre Arbeit?

(Angaben in Prozent)

An der Medizinischen Fakultät/Klinikum sind Frauen in den gehobenen/leitenden Positionen unterrepräsentiert. Welche Gründe kämen Ihrerseits hierfür in Frage [Angaben in Prozent]?



1 An dieser Stelle gilt unser Dank all denjenigen, die für diesen guten Rücklauf gesorgt haben.

2 Chancengleichheit für Männer und Frauen in der Physik? Ergebnisse der Physikerinnen- und Physikerumfrage der DPG. Bärbel Könekamp et al.. Physik Journal 1 (2002)(2), online unter www.physikerin.de/umfrage.html

3 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass von allen Befragten über 55% die Forschungsförderungsmaßnahmen der Universität nicht kannten.

4 Nähere Informationen erhalten Sie im Dekanat der medizinischen Universität oder im Frauenbüro der Universität.

5 Carmen Franz, Untersuchung spezieller Aspekte der Berufstätigkeit von Ärztinnen im bereich Humanmedizin der Georg-August-Universität Göttingen, in: Georgia (2001)(3), S.38-40.

6 Gabriele Kaczmarczyk, Wissenschaftliche Arbeit und Qualifizierung am Universitätsklinikum, Charité, Berlin 2000.